Article Score statt Traffic-Ranking: Wie wir bei der „Welt“ Erfolg messen

Jeden Morgen erhalten Redakteure auf der ganzen Welt eine sehr ähnliche E-Mail: den Traffic-Report. Sei es von Chartbeat, Webtrekk, Omniture, Parsely oder welchem Tool auch immer – es geht um das Ranking, welche Artikel am Vortag am besten geklickt haben, insgesamt und oft auf das einzelne Ressort heruntergranuliert. Doch seinen Erfolg ausschließlich anhand von Visits, Page Impressions oder Unique Visitors zu messen, ist nicht zielführend – und sagt wenig darüber aus, wie gut man wirklich gearbeitet hat.

Denn leider ist nicht jeder Traffic guter Traffic. Ein User, der von irgendwoher in einem Artikel landet und nach acht Sekunden welt.de wieder verlässt, hat uns im Grunde genommen wenig gebracht. Er hat sich offenbar nicht mit dem Inhalt beschäftigt, kaum zu Ende gelesen, unsere Marke nur marginal wahrgenommen. Wurde der Leser vielleicht mit einer Clickbaiting-Überschrift angelockt und fand dann aber schwachen Inhalt? Dieser Mensch wird enttäuscht weitersurfen und sich die schlechte Erfahrung merken.

Um die Qualität eines Artikels zu belohnen, hat die Chefredaktion der „Welt“ mit unserer Business Intelligence eine neue Art entwickelt, Erfolg zu messen: den Article Score, der mehr tut, als nur die Klicks zu zählen. Mehr dazu im Detail erklärt „Welt“-Chefredakteur Jan-Eric Peters bei „Kress“.

Das morgendliche Reporting sieht nun bei uns so aus:

Article Score Morgen-Reporting 24.11

Jeder Artikel hat bei uns die Möglichkeit, 30 Punkte zu erreichen. Die setzen sich folgendermaßen zusammen:

10 Punkte für Page Impressions,
5 Punkte für Verweildauer/Lesezeit,
5 Punkte für Video-Views,
5 Punkte für Social-Media-Traffic,
5 Punkte für Bounce Rate.

Zwei Drittel der Punkte machen also Aspekte aus, die Rückschlüsse auf die Qualität des Textes und die Art, wie der Artikel produziert wurde, geben. War der Text so gut geschrieben und so inhaltsreich, dass viele bis zum Ende lasen? Waren dort Videos eingebaut, die der Leser in diesem Artikel als Mehrwert gebrauchen kann – oder wurden sie so platziert, dass sie ihn irritierten und ablenkten? Hat er den Artikel geteilt und so seine Freunde zu uns empfohlen? War das Gesamtpaket so interessant, dass der User mehr von uns wollte und weiter auf welt.de surfte? Alles in allem: War der Kunde glücklich, uns besucht zu haben? Bei aller Jagd nach Klicks ist bei manchem in diesem Beruf die Idee abhanden gekommen, dass unsere Arbeit vor allem eine Dienstleistung ist. Wir informieren und helfen, zu verstehen. Und wenn es dann noch gut läuft, unterhalten wir obendrein.

Jeder „Welt“-Redakteur hat Einblick in den Article Score und kann im Redaktionssystem seinen gestrigen Wert finden und nachvollziehen. Denn eins ist klar: Nur wenn man die Daten und die Herleitung des Scores transparent macht, können die Kollegen daraus lernen. Die Kleinteiligkeit macht auch sichtbar, an genau welchen Stellschrauben zu drehen ist, damit es besser werden kann. Sehe ich beispielsweise eine kurze Verweildauer, kann ich mit Hilfe von Chartbeat nachforschen, wo die meisten User ausgestiegen sind: Wird der Text dort langweilig? Wiederhole ich da Bekanntes? Sind meine Zwischenüberschriften schlecht?

Article Score im Redaktionssystem SPORT 24.11

Das Erstellen einer attraktiven Überschrift kann man schnell lernen, aber guten Content dahinter zu schaffen, dafür braucht man einen guten Journalisten. Und das würdigen wir bei der „Welt“ mit dem Article Score. Durch die Entmachtung der Klickzahl schaffen wir schon bei der Themenauswahl ganz neue Perspektiven: Unsere Autoren können beliebig über ihre liebsten Nischenthemen schreiben und doch damit in den Top10 landen – mit wenigen, aber dafür sehr engagierten Lesern, die dann den Artikel ihren Special-Interest-Freunden empfohlen haben. Das Schöne: Der Article Score belohnt Substanz, und nicht die schnelle Klickmaschine.

Article Score im Redaktionssystem  KULTUR DETAIL 24.11

Als Redakteur sollte ich immer den Anspruch haben, dass sich der Klick auf meinen Artikel gelohnt haben soll. Bei uns kann ich jetzt am Tag danach sehen, ob das der User auch so empfand. Derzeit sind wir noch dabei, den Article Score weiter anzupassen und präziser in seiner Aussage zu machen: Nehmen wir weitere Kriterien hinzu, nehmen wir welche heraus? Müssen wir die Grenzwerte nach oben oder unten verschieben? Wie können wir der Redaktion das alles besser präsentieren? Aber schon jetzt ist die Einführung des Scores ein Erfolg: Er hilft uns jeden Tag dabei, unsere Arbeit besser zu machen.

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