Hundert Likes, zweihundert, tausend Likes! Olé, olé! Wenn wir Journalisten unsere Artikel online publizieren, messen wir oft unseren Erfolg daran, wie oft der Artikel geteilt wurde.
Denn wir haben in den letzten Jahren gelernt, wie wichtig Social Media für uns ist: Dort entscheidet sich heute oft, ob eine Geschichte erfolgreich sein wird. Wir nutzen Twitter als permanenten News-Stream und den Facebook-Algorithmus als Maßstab für das virale Verbreitungspotenzial eines Themas: „Sieben Leute in meinem Stream haben darüber gepostet – da müssen wir jetzt sofort einsteigen!“
Mit dem Wandel des Webs sind Google, Facebook und Twitter zu den wichtigsten Leserlieferanten geworden. Darum optimieren wir unsere Inhalte mit allerhand Daten und Analysen für diese Plattformen. Aber dadurch sind wir auch gefährlich abhängig. Jede Änderung im Algorithmus kann sehr wehtun. Außerdem vergessen wir oft eins: Die, die dort über den Tag Nachrichten verfolgen, sind News-Junkies wie wir.
Eine Lehre für Journalisten
Leute, die von gleich vier Nachrichten-Apps Push-Meldungen auf ihr Handy kriegen. Sie verfolgen jedes Update einer Nachricht bis zum Ende. In Echtzeit. Aber was ist mit den anderen? Die, die uns nicht live verfolgen? Die Facebook ermüdend finden, Twitter zu anstrengend und eigentlich nie Nachrichten googeln. Die Nachrichten als Lean-Back-Veranstaltung sehen.
Für 56 Prozent der Deutschen ist weiterhin das Fernsehen die wichtigste Nachrichtenquelle. Auf Platz zwei folgt das Internet mit 19 Prozent, dann Radio (13 Prozent) und Zeitung (11 Prozent). Heißt: Für 67 Prozent sind „Tagesschau“ und die Zeitung am nächsten Morgen immer noch schnell genug. Ein anderer Aspekt: Nimmt man Radio und Fernsehen zusammen, dann konsumieren 69 Prozent der Bürger ihre Nachrichten lieber passiv, ohne Klicken und Scrollen. Berauschung statt Recherche. Nach einem harten Arbeitstag wählt man eben lieber den mühelosesten Weg, um informiert zu werden.
Für uns Online-Journalisten ist es eine Herausforderung: Wir müssen Nachrichten interessant machen für die Überinformierten, aber besonders auch für den angesprochenen Nicht-Facebooker. Doch von ihm wissen wir kaum etwas: Wo treibt er sich im Web herum? Wie finden wir ihn? Wie will er online seine Nachrichten konsumieren? Vielleicht müssen wir für ihn manchmal etwas langsamer werden. Wolfgang Schäuble meinte zuletzt beim 20. Jubiläum von „Spiegel online“: „Wie man diesen Zustand ständiger Aufgeregtheit aushalten kann, weiß ich auch nicht.“ Ich selbst frage mich das manchmal auch.