Snapchat ist das Polaroid rückwärts

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Snapchat ist für Fotos und Videos, die nicht für die Ewigkeit bestimmt sind. Zehn Sekunden kann sie sich der Empfänger anschauen, dann werden sie automatisch gelöscht. Was bleibt, ist nur Erinnerung.

Wir hassen nachtragende Menschen. Die plötzlich mit einem Fehlverhalten ankommen, das du vor einer halben Ewigkeit begangen hast. Nachtragende haben nämlich ein Supertalent: Sie vergessen und vergeben nie. Und an ihrer Version der Geschichte ist kaum zu rütteln. So ist es auch mit der digitalen Welt: Es gibt nur eins und null, ja und nein, kein „so in etwa“ oder subjektive Erinnerungsversionen. Und erst einmal da, ist ein Datensatz so gut wie nie wieder weg. Wie der Fußabdruck im Estrich.

Aber es gibt ihn, den Wunsch nach Vergänglichkeit in der digitalen Welt. Er ist Wirklichkeit geworden mit „Snapchat“. Das ist ein Messaging-Dienst, mit dem Fotos und Videos versandt werden können, die dann für maximal zehn Sekunden sichtbar sind und sich dann angeblich ganz von selbst zerstören. Unwiederbringlich.

Man könnte sagen, es ist das Polaroid rückwärts. Das Polaroid sollte den Wunsch erfüllen, den festgehaltenen Moment möglichst schnell als Foto parat zu haben. Um Fakten zu schaffen, den Beweis für die Reise, die Freundschaft oder den Schaden am Auto nach dem Unfall. Noch vor Ort konnte man das Foto mit allen auf der Party teilen: durch Herumreichen.

Je besser das Foto, umso verdreckter kam es am Ende des Abends zurück. Der fettige Daumenabdruck war der Like-Button der 80er. Und heute? Jetzt wünscht man sich das Gegenteil: Alles Verfängliche soll möglichst schnell wieder weg, niemand soll es in Zukunft gegen uns verwenden können.

Die Generation derjenigen, die keine Welt ohne Internet kennt, ist sich der Unsterblichkeit von Daten bewusst. Versehentlich geht bei ihnen gar nichts online. Dann kam Snapchat. Der Dienst wird, das muss man auch sagen, von vielen fürs „Sexting“ genutzt: das Verbreiten erotischer Aufnahmen.

Es bleibt nur Erinnerung

Mittlerweile werden 60 Millionen Fotos am Tag verschickt, 20 Millionen mehr als auf Instagram. Denn die Nutzer können bei Snapchat wild sein, ganz ohne künftige Reue. Sie können Dinge verschicken, die nicht für die Ewigkeit bestimmt sind, und sie der Vergänglichkeit überlassen. Snapchat ist das Internet, das vergessen kann. Nach zehn Sekunden bleibt nur Erinnerung.

Facebook wollte sich diesen Spaß an der Vergänglichkeit einverleiben und bot angeblich drei Milliarden Dollar für den Dienst. Und erhielt eine Absage. Zu wenig, hieß es. Besser so, denn im Businessmodell von Facebook suchte man das Vergessen bisher vergebens.

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