Der Sonntag in Zeiten von Smartphone und iPad

Der typische Sonntag von früher existiert nicht mehr. Internet, Smartphones & Co. verändern das Leben fundamental. Auch vor der Kirche macht die moderne Kommunikationswelt nicht Halt.

Was war das erste, was Sie heute gelesen haben? Dieser Artikel dürfte es nicht gewesen sein. War es vielleicht die Schlagzeile auf der Titelseite dieser „Welt am Sonntag“? Oder war es beim Frühstück der kritische Blick auf das Mindesthaltbarkeitsdatum Ihres Frischkäseaufstrichs? Nein, statistisch gesehen haben Sie heute zuerst auf das Handy geschaut.

Bei einer Studie des Marktforschungsunternehmens „IDC Research“ kam heraus, dass weltweit 90 Prozent aller jüngeren Menschen noch vor dem Aufstehen erst mal ihr Smartphone benutzen. Sie lesen Mitteilungen und Nachrichten, die während ihres Schlafs verfasst worden sind, zum Beispiel auf der mobilen Internetseite der „Welt“ (m.welt.de), die auch die Nacht durch mit neuen Artikeln bestückt wird.

Und so geht es mit dem Handy den ganzen Tag weiter. Mehr als ein Drittel nutzt es im Badezimmer, 64 Prozent texten, mailen und posten während ihrer Mahlzeiten, 60 Prozent fühlen sich innerlich gezwungen immer wieder einen Blick aufs Smartphone zu werfen, 42 Prozent werden nervös, wenn sie irgendwo mal dauerhaft keine Internetverbindung haben. Die ständige Anwesenheit von Kommunikation und der digitalen Welt hat unsere Welt, unseren Tagesablauf in vielen Teilen verändert, viele Dinge erleben wir auf andere Weise.

Göttliche Botschaften als Podcast und auf Facebook

Selbst vor dem Sonntag haben diese Veränderungen nicht halt gemacht. Der typische Sonntag unserer Kindheit? Aufstehen, Frühstück, Plausch vor der Kirche mit Freunden, Hochamt, Mittagessen, zum Sportplatz, Kaffee und Kuchen bei Nachbarn, Großeltern, Freunden. Dann Abendbrot, „Tatort“, Bett. Aber vor allem: Zeit für die Familie. Wie sieht heute der digitale Sonntag aus?

Der Sonntag beginnt ja gewissermaßen schon am Samstagabend, mit dem „Wort zum Sonntag“. Als die Sendung im Mai 1954 begann, dauerte sie zwischen Tagesthemen und Film noch knappe zehn Minuten. Heute sind ihr immerhin noch vier geblieben. Wer sie verpasst, kann sie sich in der Online-Mediathek der ARD noch mal ansehen, oder man bekommt sie als Podcast auf den iPod geliefert. Christliche Worte im Abo, wenn man schon nicht mehr in der Kirche die Predigt hört.

Ganze Gottesdienste gibt es auch auf Twitter zu erleben. Die evangelische Kirche ist diesen Weg der Religionsausübung im Internet schon gegangen: „Wir singen gemeinsam das Lied 432“ twitterte es an einem Sonntag aus der Kirche der Frankfurter Versöhnungsgemeinde in alle Welt. „Text zum Mitsingen finden Sie hier“, gefolgt von einem Link zur Webseite des Twitter-Gottesdienstes. Die 140-Zeichen-Schnipsel von Twitter können die Erfahrung des gemeinsamen Singens nicht vermitteln. Aber nach kurzer Zeit hat ein Teilnehmer die Aufnahme des Lieds aus der Versöhnungskirche auf die „Soundcloud“ gestellt.

Die Reaktionen aus der Twitter-Welt werden in den Gottesdienst integriert: Alle Tweets zu dieser Messe mit dem Hashtag (Stichwort) #rctg werden auf eine Twitter-Wall projiziert, auf eine Leinwand neben dem Altar. Ein Teilnehmer twittert: „Ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir.“ Ein Besucher schrieb nach einer ähnlichen Veranstaltung: „Aus einem ‚Frontalgottesdienst‘ wird ein gemeinsames Erlebnis mit Teilnehmerbeteiligung“, vielleicht wäre das ein Baustein zu einer Art „Mitmachkirche“.

Dein Livestream komme…

Auch in der katholischen Kirche wird das Internet zunehmend genutzt, ein Kölner Priester organisierte vergangenes Jahr den nach Kirchenangaben ersten Facebook-Gottesdienst, per Livestream. Der Vorteil für die User an den Rechnern: Sie verfolgen die Messe vom heimischen Sofa mit dem Laptop auf den Knien statt mit den Knien auf der Kirchenbank. Anders als bei einem gewöhnlichen Gottesdienst lauschten die Facebook-User nicht nur den Worten des Pfarrers. Sie sollten sich interaktiv beteiligen: Gebetsanliegen und Fürbitten posten, Meinungen zur Predigt. Tatsächlich kam eine Diskussion in Gang.

Aber wie viel Gültigkeit hat der digitale Gottesdienst? Und wie viel Gültigkeit hat der Segen auf Twitter, auch wenn ihn der Papst getwittert hat? Schon bei Fernsehgottesdiensten war diese Frage lange ein Problem. Laut „Leitlinien zur Übertragung von Gottesdiensten“ müssen Messe und damit der Segen live miterlebt worden sein, damit er gültig ist.

700.000 Gläubige tun das jede Woche. Dass der Sonntagsgottesdienst des ZDF einmal in der Mediathek landen würde, war lange undenkbar. So ist das auch beim „Urbi et Orbi“, mit dem Gläubigen ein vollkommener Ablass der Sündenstrafe gewährt wird. War früher dafür die physische Anwesenheit des Empfängers auf dem Petersplatz beziehungsweise die Sichtweite des Spenders notwendig, so kann der Segen seit 1967 auch über Radio, seit 1985 über das Fernsehen und seit 1995 auch über das Internet gültig empfangen werden.

Wann kommt der Ablass über Twitter?

Aber: Geht das mit dem Ablass auch über Twitter? Nein, sagt der Vatikan. Für Nichtanwesende reiche es nicht aus, einfach nur die Twitter-Botschaften des Papstes zu lesen, sagt Erzbischof Claudio Maria Celli, der Medienverantwortliche des Vatikans. Einen Ablass erhalte man nicht „wie einen Kaffee am Automaten“. Die Medien seien lediglich Instrumente, die dem Glauben zur Verfügung stünden. Entscheidend für den Erhalt eines Ablasses sei, dass deren Nutzung „geistliche Früchte im Herzen jedes Einzelnen“ hervorbringe.

Darf man sich dann gar nicht gesegnet fühlen? „Wenn ich gesegnet werden will, dann wird Gott mich auch segnen“, sagt „Wort zum Sonntag“-Pfarrer Ulrich Haas. „Ich muss nur innerlich dafür offen sein. Gott ist größer als ein Live-Event.“ Wenn man ihn also will, ist der Segen in Twitter ein echter Segen.

Eine andere Eigenart des deutschen Sonntags hat ebenfalls mit der Kirche zu tun: die Sonntagsruhe. Verankert im Artikel 139 der Weimarer Reichsverfassung von 1919 („Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.“) wurde sie Teil des Grundgesetzes, als Artikel 140. Zusammen mit den Ladenöffnungsgesetzen, die den Verkauf auf bestimmte Waren (Zeitungen, Gebäck, Blumen etc.) und Verkaufstellen (unter anderem Bahnhöfe, Flughäfen und Tankstellen) beschränken, ist es die Abwehr der Kommerzialisierung des Sonntags. Wenigstens in der analogen Welt. Im Internet gibt es dagegen keinen Ladenschluss. Jeder kann im Web so viel surfen und schoppen, wie es ihm gefällt und die Bonität erlaubt. 24 Stunden, an allen Tagen.

Online auch wenn der Fernseher läuft

Und noch etwas gehört bei Millionen Deutschen zum Sonntag: der „Tatort“ um 20.15 Uhr. Und der ist längst nicht mehr nur ein Fernsehereignis: In den sozialen Netzwerken wird die ganze Sendung lang getwittert und gepostet. „Second Screen“ nennt sich dieses Phänomen, bei dem zusätzlich zum TV-Gerät noch parallel ein Laptop, iPad oder sonstiger Tablet-Computer auf dem Schoß benutzt wird. Zum Beispiel für verschiedene Infos: Zuschauer lesen Live-Ticker mit, suchen weitere Bilder, googeln Namen. Und kommunizieren. Dabei wird während Shows meist gelästert und beim „Tatort“ mitermittelt.

Laut einer neuen Studie sind tatsächlich knapp 49 Prozent der werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen auch online, während das Fernsehprogramm läuft. Für Sender ist „Second Screen“ das Thema schlechthin, und es ist eins der interessantesten Felder der Unterhaltungstechnologie: Das Interessante für den Anbieter ist, dass der Zuschauer auf diese Weise eine engere Bindung mit der Sendung aufbaut: Er wird sie wieder schauen – und zwar aufmerksamer. Und aufmerksamere Zuschauer führen zu mehr Aufmerksamkeit für Werbung. Was heißt: mehr Einnahmen.

Die Bindung zur Sendung sieht man vor allem bei den „Tatort“-Fans, die zu Hunderttausenden mittwittern. Ab 19 Uhr geht es los, ab 20.15 Uhr werden in Echtzeit die Ermittlungsmethoden seziert und hinterher schreibt jeder seine Meinung. Das ist die Transformation des Fernsehens vom passiven Konsummedium in ein interaktives, soziales Erlebnis.

Und dann, oder nach „Jauch“, geht es ab ins Bett. Smartphones sind übrigens nicht nur die ersten Dinge, die junge Menschen benutzen, es sind auch die letzten. Eventuell haben Sie diesen Artikel soeben sogar im Bett auf Ihrem Display gelesen. Na dann: Gute Nacht!

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