Der Internetuser empfiehlt häufig Artikel, von denen er keine Zeile gelesen hat. Das allerdings kann bisweilen ganz schön gefährlich werden. Wer blind teilt, verteilt womöglich auch blinde Thesen.
Herzlich willkommen. Sollten Sie diese Zeilen lesen, sind Sie schon weiter gekommen als viele andere. Denn viele hören bei der Überschrift schon auf, vielleicht noch ein paar Absätze, dann ist Schluss. Vor einigen Jahren gab es in der Zeitungsbranche diesen sogenannten Reader-Scan, mit dem via Probanden untersucht wurde, wann Leser bei der Lektüre eines Artikels aussteigen. Richtig repräsentativ war das nicht und es war teuer.
Nun, heute kann man im Web mithilfe moderner Tools sehen, wie sich ein Leser auf einer Seite bewegt, wie lange er in einem Artikel verweilt, wie oft dieser trotz unvollendeter Lektüre dann doch vom User geteilt wird. „Chartbeat“ heißt so ein Tool, das einem Seitenbesitzer auf das Pixel genau anzeigt, wie weit ein Leser im Artikel heruntergescrollt hat.
Verglichen wurde, nach wie viel Textlänge die Leser aufhörten und dann den Artikel in sozialen Netzwerken teilten. Und das Ergebnis ist dann doch ernüchternd für Schreiber. Warum steigen Leser online so früh aus? Glauben sie schon zu wissen, was noch kommt, oder interessiert es nicht? Man steckt Mühe in alle diese Worte, all diese Sätze. Weil man sich für ein Thema begeisterst und diese Begeisterung an den Leser weitergeben will. Vollständig.
Stattdessen wurde Folgendes herausgefunden: Je länger Menschen sich am Rechner auf etwas konzentrieren müssen, umso leichter sind sie vor dem Abschluss abzulenken. Mit zunehmendem Einsatz von Social Media hat sich diese Sache mit der Aufmerksamkeit offenbar noch verschlimmert.
Bei einer Untersuchung auf Twitter kam heraus, dass viele User Artikel retweeten oder empfehlen, obwohl sie davon keine einzige Zeile gelesen haben: Bei 2,7 Millionen analysierten Tweets hatten 16 Prozent davon mehr Retweets erhalten, als zuvor auf die beinhalteten Links geklickt wurde.
Das heißt dann also, dass die Überschrift heute so wichtig ist wie noch nie. Denn sie bringt offenbar nahezu allein Leser dazu, den Artikel zu teilen. Das ist aber auch fahrlässig, denn so teilt man womöglich blind wilde Thesen.
Begegnen Sie also auf Twitter einem beliebten Artikel, lesen Sie ihn besser vorm Weiterverteilen. Verlassen Sie sich nicht darauf, dass es andere vor Ihnen getan haben. Um nicht nur schwarzzumalen: Gott sei Dank, der größte Teil der Leser liest, einmal im Artikel angekommen, noch bis zum Ende. Wie Sie. Einen schönen Tag!