In sozialen Netzwerken hatten sich Nutzer zusammengetan, um die Täter von Boston zu finden. Schnell gerieten dabei auch Unschuldige unter Verdacht. Es fand eine digitale Hexenjagd statt.
Am Donnerstagabend nach den Bombenanschlägen beim Marathon in Boston ging plötzlich ein Name durch die sozialen Netzwerke: Sunil Tripathi. Ein Student, der vor einigen Wochen verschwunden war. War er der Täter? Beim mächtigen Online-Forum Reddit, von wo aus der Name verbreitet worden war, feierte man diese Möglichkeit als Revolution: Hat das Crowdsourcing im Web den Täter schneller gefunden als das FBI?
Auf Reddit hatten sich Nutzer zusammengetan, um die Täter zu finden, dazu war direkt am Tag nach dem Attentat das Diskussionsthema „Findbostonbombers“ eröffnet worden. Man postete und analysierte Fotos und Videos, die auch auf Twitter, YouTube, Facebook und Blogs hochgeladen worden waren. Tausende machten mit, eine riesige forensische Untersuchungseinheit. Es gab sogar eine Liste mit Verdächtigen, die man identifiziert zu haben glaubte. Darunter auch Tripathi, der im Profil tatsächlich Ähnlichkeit mit einem der Brüder haben könnte. Der Name ging in die Netzwerke, und einige Medien in den USA, Indien und England übernahmen ihn, im Glauben an die Kraft von Crowdsourcing. Kurze Zeit später kam die Meldung, dass das FBI auf der Suche nach Dzhorkhar und Tamerlan Tsarnaev war. Zu Tripathi gab es keinerlei Verbindung. Doch der Name war draußen und hatte auch Tripathis Familie erreicht. Sie waren hilflos gegenüber den Retweets und den aufkommenden Beschuldigungen und rassistischen Feindseligkeiten. „Diese Stunden waren für uns der Horror“, sagt die Schwester des falsch Beschuldigten.
Das FBI bat, als es die Bilder der Brüder Tsarnaev zeigte, tatsächlich um Hilfe, um Crowdsourcing, so wie es das schon mehr als Hundert Jahren gibt: per Steckbrief und der Frage „Kennen Sie diese Männer?“ Hier ist das Internet tatsächlich eine enorme Hilfe, denn es kann die Gesichter der Verdächtigen schnell und weit verbreiten. Doch bei Reddit wurden Bilder genommen und amateurhaft Schlüsse gezogen; ohne Ermittlererfahrung und ohne klare Bestätigungen wurden Unschuldige in den Kreis der Verdächtigen gezogen. Aus der gut gemeinten Suche wurde eine Hexenjagd. Die Reddit-Betreiber wollen nun etwas an den Regeln ändern, damit so etwas nicht wieder passiert. Die Community entschuldigte sich förmlich bei der Familie Tripathi – und sie eröffnete eine Runde, die dabei helfen soll, den verschwundenen Studenten wiederzufinden.